Frau Doktor Gräf, wie würden Sie als Arbeitsmedizinerin den Begriff „Arbeitsmedizin“ erklären?
Die Arbeitsmedizin ist ein präventivmedizinisches Fach. Sie will die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von arbeitenden Menschen erhalten, fördern, aber auch wiederherstellen, dabei geht es um Körper und Psyche.
Ganz grundsätzlich soll die Gesundheitskompetenz ausgebaut werden, wir wollen die Mitarbeitenden für ihr eigenes Arbeitsverhalten sensibilisieren.
Gleichzeitig geht es aber auch um die Verhältnisse, die der Betrieb stellt – den Arbeitsplatz, die Arbeitsmittel, das Arbeitszeitsystem, die Arbeitsumgebungsfaktoren wie Lärm oder Luft.
Das Ziel der Arbeitsmedizin ist es, dass die Menschen durch ihre Beschäftigung nicht krank werden. Und das liegt individuell an den Mitarbeitenden, aber vor allem am Betrieb.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass Unternehmen eine gute arbeitsmedizinische Betreuung haben?
Zuerst einmal gilt in allen Betrieben eine Fürsorgeplicht für die Mitarbeitenden, es geht darum, arbeitsbedingte Beschwerden oder Erkrankungen zu verhindern. Hier unterstützt die Arbeitsmedizin.
Dazu kommt, dass Arbeitssuchende mittlerweile sehr genau schauen, was sie von ihrem zukünftigen Betrieb erwarten können. Da spielen Sicherheits- und Gesundheitsschutz eine große Rolle.
Momentan unternehmen Betriebe große Anstrengungen, um Mitarbeitende zu finden. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es umso wichtiger, den Arbeitnehmer:innen zusätzlich Anreize zu bieten, etwa die Kinderbetreuung im Betrieb, ein Indoor Essensangebot oder möglicherweise sogar die 4-Tage-Woche.
Eine Kantine bedeutet zum Beispiel weniger Zeitaufwand für eine warme Mahlzeit, Kinderbetreuung bedeutet kürzere Wege und somit weniger Stressbelastung. Auch bei diesen Themen können wir beraten.
Es ist wichtig, gesunde Arbeitsvoraussetzungen zu schaffen – denn je gesünder die Mitarbeitenden, desto besser funktioniert der Betrieb.
Und was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, das Unternehmen für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden tun können?
Hier ist „gesund führen“ ein wichtiger Punkt. Der Begriff hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen – Führungskräfte benötigen nicht nur fachliche, sondern auch gute soziale Kompetenz. Sie müssen erkennen, wenn es ihren Mitarbeitenden nicht gut geht, und dann schauen, was geändert werden muss, damit das Arbeitsverhältnis wieder passt.
Das Gespür für gute und gerechte Arbeitsverteilung spielt ebenfalls eine große Rolle, damit Menschen, die nicht nein sagen können, nicht mit Aufgaben überschüttet werden.
Außerdem muss der Betrieb gewährleisten, dass man die Möglichkeiten auch annehmen darf, die der Arbeitsschutz bietet. Dass man zum Beispiel nicht das Gefühl hat, man darf nicht zum Arbeitsmediziner:in oder Arbeitspsycholgen:in gehen, wenn es einem schlecht geht.
Es liegt also ganz viel an den Führungskräften?
Ja, wir müssen die Führungskräfte auf jeden Fall in Hinsicht auf ihre Fürsorgepflicht schulen. Und sie müssen für ein gutes Betriebsklima sorgen, gerade jetzt nach Corona, wo alle so belastet waren.
Welche Trends sehen Sie in der Arbeitsmedizin für die Zukunft?
Die Arbeitsmedizin muss unbedingt in Hinsicht auf neue Technologien am Ball bleiben, in den letzten Jahren war das zum Beispiel die Nanotechnologie.
Prekäre Arbeitsverhältnisse werden uns zunehmend mehr beschäftigen. Wenn jemand drei Teilzeitjobs hat, muss man darauf achten, dass diese Person in irgendeiner Weise Zugang zu arbeitsmedizinischer Versorgung hat. So über die AUVA, die für Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitenden zuständig ist.
Wir müssen uns, gerade nach Corona, mit neuen Arbeitszeitmodellen auseinandersetzen. Homeoffice, aber auch die generelle Entgrenzung der Arbeitszeit, führen dazu, dass die Trennung von Arbeit und Freizeit schwierig wird.
Außerdem ist das Thema der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt, zum Beispiel nach Long Covid, Erschöpfung oder schwerer Erkrankung, wichtig. Die Wiedereingliederungsteilzeit ist eine tolle Möglichkeit, um langsam wieder am Arbeitsplatz Fuß zu fassen. Seit 2017 ist das in Österreich möglich, gesetzlich verankert ist es allerdings nicht. Sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende müssen einer solchen Vereinbarung zustimmen.
Gibt es etwas, was Sie uns als Hersteller von Arbeitssicherheitsprodukten mitgeben können?
Wichtig ist die gute Zusammenarbeit zwischen den Präventivkräften Sicherheitstechnik und Arbeitsmedizin, dem Betrieb und den Herstellern. Um Gefährdungen zu vermeiden oder zu verringern, benötigt es unterschiedliche Maßnahmen. Die medizinische und sicherheitstechnische Einschätzung von Arbeitssicherheitsprodukten bringt bestmöglichen Schutz. Also immer die Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik bei Anfragen seitens des Betriebes einbinden, zum Wohle der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen.
Vielen Dank für das Interview!
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